Inter-Research > Book Series > Top Books > Anna > Textprobe 4  
IR
Inter-Research Science Publisher

via Mailchimp
Textprobe 4, 'Anna'

Staatssekretär: Meine Herren, bitte. Was getan werden kann wird getan. Daran sollten wir doch gar keinen Zweifel aufkommen lassen. Ich habe dabei vor allem an die Bevölkerung hier in diesem Lande zu denken. Wir müssen sie weiter informieren. Der nächste Schritt, Herr Wieland, auch der will wohl erwogen sein. Herr Wieland, wo stehen wir?

 

Wieland schaltet wieder die Gegensprechanlage ein. Die Hauptbühne wird wieder voll beleuchtet.

 

Wieland: Doktor Andersen? Hören Sie mich?

 

Andersen: Ja ich höre.

 

Wieland: Was sagen die neuesten Daten?

 

Andersen: Wir werden voll getroffen werden.

 

Wieland: Wie sicher?

 

Andersen (nach kurzem Zögern): Völlig sicher.

 

Wieland: Kein Irrtum mehr möglich?

 

Andersen: Soweit Sie in dieser Sache an unsere Methoden glauben: kein Irrtum möglich!

 

Staatssekretär: Hören Sie! Womit ist zu rechnen? Welche Sicherheitsmaßnahmen müssen auf den Weg gebracht werden?

 

Weitzel: Wenn die Sprengung nicht glückt, dann werden alle Maßnahmen hier bei uns zwecklos sein. Dann wird es nur eines geben: je direkter getroffen, desto besser für den Betreffenden.

 

Staatssekretär: Mit dieser Auffassung können wir uns als Politiker nicht identifizieren ...

 

Weitzel (sarkastisch): Aha!

 

Staatssekretär: Das können wir den Menschen draußen im Lande nicht verständlich machen.

 

Weitzel: Wenn dafür nicht anderweitig Vorsorge getroffen ist – jetzt ist es zum Verständlich-Machen auf jeden Fall zu spät.

 

Anna (ist dicht an Björn herangetreten, legt die Hände auf seine Brust): Dann will ich mit den Kindern nach draußen gehn.

 

Andersen (legt seine Hände auf ihre Schultern): Hier bei uns hilft auch das nichts, Anna. Die glücklichen direkt Getroffenen werden die in Amerika sein.

 

Staatssekretär: Und andernfalls? Wir müssen davon ausgehen, daß es klappt. Was dann? Ist dann alles in Ordnung oder kann man uns dann nachsagen, wir hätten etwas versäumt?

 

Weitzel (sarkastisch): Mit einer Situation wie dieser hat man relativ wenig Erfahrung, Herr Staatssekretär.

 

Staatssekretär: Es geschieht alles irgendwann zum ersten Mal. Wir Politiker ...

 

Weitzel (holt tief Luft): Oh – bitte – bitte jetzt keine – also – es wird auf jeden Fall eine Menge auf uns herunterregnen. Staub, auch größere Brocken. Das meiste wird in der Atmosphäre verglühen, aber viel wird auch den Erdboden erreichen.

 

Staatssekretär: Dagegen hilft?

 

Weitzel: Da ist die mechanische Einwirkung, eine Aufwärmung der Atmosphäre. Inhomogen. Das wird zu ungeheuren Luftbewegungen führen.

 

Staatssekretär: Maßnahmen?

 

Weitzel (schreit): Das, was nach allen Maßnahmen kommt, die Sie in Ihrer Katastrophenschutzfibel aufgezählt haben. Warnung an alle vor allem! Geht unter die Erde, so tief ihr könnt.

 

Staatssekretär: Keller? Genügen Keller?

 

Weitzel: Zählen Sie die in ihrer Fibel auf?

 

Staatssekretär: Natürlich!

 

Weitzel: Von Genügen kann dann keine Rede sein.

 

Staatssekretär: Mit diesem Zynismus können wir niemandem helfen.

 

Weitzel: Pardon. Ja. Also: die tiefsten, die sie erreichen können. Und die tiefsten Höhlen in den höchsten Bergen! Und Verpflegung. Vor allem zu trinken. Das Material könnte radioaktiv sein ...

 

Staatssekretär: Von der Sprengung?

 

Weitzel: Ja.

 

Staatssekretär: Wie sollen wir das den Menschen klarmachen?!

 

Weitzel (schreit): Es geht nicht mehr um’s Klarmachen, Mensch! Es geht nur noch um das beste Ausnutzen von minimalen Chancen. Können Sie das den Menschen klarmachen? Nein, das können Sie nicht. Dafür hätten Sie Vorarbeit leisten müssen. über viele Jahre. Jetzt kann ein jeder nur noch seinen Schaden minimieren – was immer das für den einzelnen heißt! Und wer das nicht will, der soll es bleiben lassen!

 

Isabell (ist zornig auf ihn zugetreten): Wer gibt dir das moralische Recht, Hermann ...

 

Weitzel (packt sie an den Schultern, schüttelt sie): Moral, Isabell? Moral? Das ist eine Frage der Zweckmäßigkeit.

 

Isabell (ballt die Fäuste vor ihm): Und um welchen Zweck soll es hier gehn!?

 

Weitzel (hält sie weiter gepackt): Wenn Leben, unser Leben, das Leben des Menschen einen Sinn hat, dann kann es jetzt nur darum gehn, daß genügend Exemplare dieser Spezies überleben – in Bunkern, Kellern, Höhlen, Erdlöchern, daß der Entwicklungsgeschichte Millionen von Jahren neuerlicher Hochzüchtung aus den sonst einzig übrigbleibenden Käfern und Würmern, Gekriech und Gekreuch, erspart werden. Das ist die einzige Moral in diesem Augenblick.